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Xtra Herbst 2017

ANTIBIOTIKARESISTENZ ES WAR EINES der Topthemen des G20-Gipfels in Deutsch- land: Wenn die Weltgemeinschaft nicht handelt, droht infolge zunehmender Antibiotikaresistenzen ein Rückfall der medizi- nischen Möglichkeiten in die Anfänge des vorigen Jahrhun- derts – Lungenentzündungen bei Kindern, Tuberkulose und Meningitis, aber auch bakterielle Infektionen nach Geburten, Operationen oder Wunden könnten dann wieder zu schwer be- handelbaren Krankheiten mit langen Krankenhausaufenthal- ten oder gar tödlichem Ausgang werden. Die Entdeckung des Penizillins 1928 durch den schotti- schen Arzt und Biologen Alexander Fleming hat die Medizin wie kaum eine andere Erfindung revolutioniert. Doch schon 1945, als Fleming den Nobelpreis für seine Entdeckung entge- gennahm, warnte der Wissenschaftler eindringlich davor: „Wenn du Penizillin nimmst – dann nimm genug davon.“ Er ahn- te, dass Bakterien unempfindlich gegenüber Antibiotika wer- den, wenn sie zu gering dosiert oder zu kurz gegeben werden. Die ältesten Lebewesen der Erde sind wahre Überlebenskünst- ler. Sie können sich extrem schnell vermehren und mithilfe von spontanen Erbgutveränderungen resistent gegen äußere Ein- flüsse wie Antibiotika werden. Besonders tückisch: Diese Re- sistenzgene können sie via Gentransfer auch an andere krank- heitserregende Bakterienstämme weitergeben. WELTWEITE ZUNAHME DER ANTIBIOTIKARESISTENZEN IST HAUSGEMACHT Diesen natürlichen Prozess hat der Mensch mit jahrzehntelan- gem Missbrauch im Umgang mit Antibiotika massiv befeuert. So haben ungezielte und oft unnötige Verordnungen in der Hu- manmedizin, aber auch häufige Einnahmefehler der Patienten sowie der massenhafte Einsatz zur Umsatzsteigerung in der Tiermast dazu geführt, dass sich resistente Bakterien weltweit immer stärker vermehren und ausbreiten können. Neu entwi- ckelte Antibiotika verlieren damit immer schneller ihre Wir- kung und multiresistente Keime, gegen die quasi kein gängiges Mittel mehr wirksam ist, treten welt- weit immer häufiger auf. Gerade an Orten, wo sich viele Personen auf relativ engem Raum aufhalten und verschiedene An- tibiotika vermehrt im Einsatz sind, wie etwa in Kran- kenhäusern, finden mehrfach resistente Keime, die häufig auch als „Superkeime“ bezeichnet werden, ideale Bedingungen vor, um sich auszubreiten. Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus – kurz MRSA – ist ein bekanntes Beispiel dafür. Er trat vor rund 50 Jahren das erste Mal in einem englischen Krankenhaus auf, verbreitete sich anschließend in verschiedenen Varianten weltweit und kam ab Mitte der Neunzigerjahre auch außerhalb von Kliniken vor. Heute ist die Zahl grampositiver multiresistenter Bakterien, insbesondere MRSA, zwar stabil und laut Robert Koch-Institut (RKI) und Paul-Ehrlich-Gesell- schaft für Chemotherapie e. V. sogar leicht rückläufig, dafür wurde in den letzten Jahren ein Anstieg von Resistenzen auch bei gramnegativen Stäbchen-Bakterien wie Escherichia coli und Klebsiella pneumoniae beobachtet. Diese Darmbakterien haben die Fähigkeit erworben, Extended-Spectrum Beta-Lacta- masen – kurz ESBL – zu bilden. Damit sind die Bakterien in der Lage, nahezu alle Penizilline und Cephalosporine zu inaktivie- ren. Gleichzeitig verfügen diese Keime auch über Mechanis- men, die die Wirksamkeit auch mehrerer anderer Klassen an Antibiotika außer Kraft setzen. In Deutschland tragen etwa fünf Prozent der Bevölkerung ESBL-bildende Bakterien unbemerkt mit sich, in Südostasien und Indien sind es aber teilweise über 50 Prozent. „Für gesunde Personen sind diese Keime nicht zwingend gefährlicher als andere Keime der körpereigenen Bakterienflora“, sagt Prof. Michael Kresken, Mitglied des Vorstandes der Paul-Ehrlich- Gesellschaft für Chemotherapie e. V. und Leiter der Arbeits- gemeinschaft „Empfindlichkeitsprüfungen und Resistenz“. „Problematisch wird die Situation, wenn multiresistente Keime über Operationswunden oder andere Zugänge wie Be- atmungsgeräte, Venen- und Blasenkatheter in den Organis- mus eindringen. Dabei sind immungeschwächte Personen be- sonders gefährdet.“ Bei frisch Operierten, Krebspatienten nach Chemotherapie oder Organempfängern reichen die eige- nen Abwehrkräfte nicht aus, um diese Erreger in Schach zu hal- ten. „Stehen hier keine wirksamen Antibiotika zur Verfügung, können sich komplizierte Verläufe entwickeln, die nur schwer therapierbar sind und schlimmstenfalls tödlich enden.“ WELTWEITER HANDLUNGSBEDARF Allein für Europa schätzen das Europäische Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten und die Europäische Arzneimittelbehörde, dass 25.000 Todesfälle im Jahr auf Kran- kenhausinfektionen mit antibiotikaresistenten Erregern zu- rückzuführen sind. Düstere Prognosen rechnen in den nächsten Jahrzehnten gar mit mehr Toten durch multiresistente Keime als durch Krebs. „Einzelne Länder können im Kampf gegen Antibiotikaresisten- zen jedoch nicht allzu viel ausrichten“, erklärt Prof. Kresken. Die Problematik bestehe weltweit und könne nur mit globalen Maßnahmen wirksam be- kämpft werden. PROF. MICHAEL KRESKEN Medizinökonom, Köln Leitet die Arbeitsgemeinschaft „Resistenz“ der Paul-Ehrlich- Gesellschaft für Chemotherapie e. V. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat deshalb 2015 den Global Action Plan on Antimicro- bial Resistance ins Leben gerufen, der länderüber- greifend koordinierende Strategiemaßnahmen zur weltweiten Bekämpfung von antimikrobiellen Resis- tenzen vorsieht. Zu den wichtigsten Maßnahmen zählen neben umfassender Aufklärungsarbeit und aktiver Förderung der Forschung die noch strengere Einhaltung von Hygienemaßnahmen in Kranken- häusern und Pflegeeinrichtungen sowie ein verant- 34 35/ XTRA 2 _ 2017

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