Von der Bestimmung des Längengrads zum bakteriellen Resistenzprofil
Herausforderungen und Probleme sind für die Menschheit nichts Neues. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts war es zum Beispiel die korrekte Bestimmung des Längengrads auf See. Es fehlten präzise Zeitmesser für die Navigation auf dem offenen Meer, sodass eins von fünf Schiffen zu dieser Zeit sein Ziel nicht erreichte. Um dieses Problem anzugehen, lobte das britische Parlament am 8. Juli 1714 erstmals den Longitude Prize aus, den derjenige erhalten sollte, der einen entsprechend seetüchtigen Chronometer für die verlässliche Bestimmung des Längengrads präsentieren würde (1). 1735 wurde der Preis dem gebürtigen Schotten John Harrison zugesprochen, der mit seinem Zeitmesser die Navigation auf offener See revolutionierte.
Eine Revolution auf einem ganz anderen Gebiet stellt nun etwa 300 Jahre später das PA-100 AST System von Sysmex Astrego dar, das im Juni 2024 ebenfalls mit dem Longitude Prize ausgezeichnet wurde.
Zeit auch bei diesem Preisträger bedeutsam
Auch bei dem aktuellen Preisträger spielt Zeit eine bedeutende Rolle. Denn mit dem PA-100 AST System steht erstmals eine patientennahe Analysemethode zur Verfügung, mit der antimikrobielle Empfindlichkeitstests (AST=antimicrobial susceptibility test, wir berichteten im April 2024) in nur 45 Minuten durchführbar sind, während gängige phänotypische Laboranalysen mindestens 1-2 Tage in Anspruch nehmen. Wissenschaftler und Mediziner versprechen sich von dieser deutlichen Beschleunigung der Erstellung bakterieller Resistenzprofile eine wesentlich zeiteffektivere Diagnostik bakterieller Infektionen und damit eine Reduzierung unnötiger bzw. unpassender Verschreibungen von Antibiotika. Dies ist angesichts der rasanten Entwicklung antibiotikaresistenter Keime auch dringend nötig: Schätzungen der WHO zufolge waren diese Superbugs im Jahr 2019 für bis zu 5 Millionen Todesfälle weltweit verantwortlich, eine Zahl, die sich bis zum Jahr 2050 laut Prognosen noch vervierfachen wird (2). Auch das Team des Longitude Prize sah die Herausforderung der von der WHO vorausgesagten antimikrobiellen Resistenzkriese und setzte die Entwicklung zeiteffizientere Analysemethoden für bakterielle Resistenzprofile bei der Neuauflage des Preises 2014 auf die To-do-Liste. Zehn Jahre später bietet das PA-100 AST System nun eine dem Preis würdige innovative Problemlösung an.
Viel Bewährtes und Bekanntes - nur kleiner!
Auch wenn das PA-100 AST System auf den ersten Blick wenig Gemeinsamkeiten mit den gängigen bakteriellen Flüssig- oder Plattenkulturen aufzuweisen scheint mit deren Hilfe bakterielle Wachstumsraten mit und ohne Antibiotikum bis jetzt bestimmt werden, findet sich auf dem Nanofluidik-Chip, dem Herzstück des Systems, viel Bewährtes und Bekanntes (3): denn auch hier läuft ein kulturbasierter AST zur phänotypischen Charakterisierung von Bakterienstämmen ab - eben nur im Nanomaßstab! Neben Einsparungen in Material und Arbeitskraft, bringt diese Miniaturisierung einen entscheidenden weiteren Vorteil mit sich: Durch das einzelzellbasierte, bildgebende Auswertungsverfahren des bakteriellen Wachstums in Echtzeit kann mit deutlich geringen Zellzahlen gearbeitet werden (nur 50.000 koloniebildende Einheiten/ml), die nicht erst über Nacht auf Koloniestärke vermehrt werden müssen. Dies ermöglicht die so dringend benötigte zeitliche Einsparung auf dem Weg von der Diagnose einer Bakteriurie bis zur zielgerichteten Antibiotikatherapie.
Wie funktioniert das System nun genau?
Auf dem Lab-on-a-Chip des PA-100 AST Systems verbergen sich 11.000 Nanofluidkanäle, die über einen zentralen Strömungskanal mit Probenmaterial (Probenmenge 400 µl) beladen und mit Wachstumsmedium versorgt werden (3). Dabei ist jeder einzelne Nanokanal so schmal, dass sich Bakterienzellen nur hintereinander in ihm sammeln können. Als Folge davon kann auch bakterielles Zellwachstum nur entlang der geraden Linien des Kanals stattfinden, was die Grundlage für die Bestimmung der bakteriellen Wachstumsdynamik und die Erstellung unterschiedlicher Resistenzprofil bildet: Bakterien, die resistent gegenüber bestimmten Antibiotika sind, wachsen schneller und füllen damit auch ihre Nanokanäle schneller, als nicht resistente Bakterien. Das Maß für die Füllung der Nanokanäle nach einem bestimmten Zeitintervall liefert damit therapeutisch relevante Informationen über den Grad der Resistenz des jeweiligen Bakterienstammes und damit, welches Antibiotikum in dem vorliegenden Fall verschrieben werden sollte. Die Füllung der Nanokanäle wird beim PA-100 AST System mittels Phasenkontrastmikroskopie nach einem standardisierten Ablauf durch wiederholte Bildaufnahmen der Nanokanäle alle 30 Sekunden über einen Zeitraum von 20 Minuten ermittelt und anschließend von einem Algorithmus mit den Füllständen der Bakterien in Kanälen ohne Antibiotika abgeglichen. So ergibt sich bereits nach nur 30-45 Minuten ein Resistenzprofil für die untersuchte Probe.
Harnwegsinfektionen im Fokus
Mit dem U-0501 Panel des PA-100 AST Systems können die Resistenzprofile von fünf Bakterienstämmen (E. coli, E. faecalis, K. pneumoniae, P. mirabilis, S. saprophyticus) untersucht werden, die alle mit Harnwegsinfektionen assoziiert sind. Dazu sind die Nanokanäle auf dem Chip des Panels in unterschiedliche Gruppen mit und ohne Antibiotika unterteilt. Als Antibiotika werden Amoxicillin/Clavulansäure, Ciprofloxacin, Fosfomycin, Nitrofurantoin und Trimethoprim in fünf unterschiedlichen Konzentrationen getestet. Damit liefert das Panel in nur einem Durchgang Ergebnisse für 25 AST. Dass Masse hier zudem auch Klasse bedeutet, hat die Nanofluidik-AST-Methode in vergleichenden Evaluationsanalysen gegenüber der AST-Bestimmung auf Agarplatten eindrucksvoll bewiesen (4). Das PA-100 AST System zeigte dabei eine Sensitivität von 98,8 % und eine Spezifität von 98,4 %, mit einer Genauigkeit der vergleichenden Performanz von 95,1-99,8 % und einer Reproduzierbarkeit von 97,5-100%. Damit entspricht das PA-100 AST System den Standards des European Committee on Antimicrobial Susceptibility Testing (EUCAST) und ein großer Schritt im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen ist gemacht (3).
Blick in die Zukunft
Und weitere Schritte sollen folgen! Denn nicht nur bei Harnwegsinfektionen ist eine beschleunigte Differenzialdiagnostik hilfreich. Das Team von Sysmex Astrego hat bereits weitere bakterielle Infektionen (z.B. Sepsis) ins Auge gefasst und arbeitet an entsprechenden Panels, um das Potenzial des PA-100 AST Systems und der Nanofluidik in der Zukunft möglichst vielfältig nutzbar zu machen.